Arbeitsphilosophie

WAS MIR WICHTIG IST BEI DER THEATERARBEIT

DAS ERFÜLLTE JETZT. Gemeinsam unser Bestes zu geben für das Idealziel: Eine so intensive und lebendige theatralische Aktion, dass dem Publikum das mit uns geteilte Hier und Jetzt ganz und gar genügt.

DER MENSCHLICHE KONTAKT. Die Beziehung des Darstellers zu seinem Innenleben, zum Partner auf der Bühne, zum Publikum. Das erscheint selbstverständlich, ist es aber nicht. Von diesem Kontakt aus kann es in die verschiedensten Richtungen weitergehen.

DER KÖRPER. Er und nicht der Kopf machen Theater lebendig und lustvoll. Theater ist, wie das Leben, Präsenz und Begegnung von Körpern in einem Raum;  der Körper mit seinen Gefühlen, seiner Seele, seinem Geist. In Ruhe und in Bewegung. Sprechend, singend, schweigend. Für den Darsteller geht es dabei nicht um die Erarbeitung artistischer Kunststücke, akrobatischer Fähigkeiten etwa, sondern um einen bewussten Umgang mit diesem Instrument, also auch ein Nicht-Tun: Ein Weglassen stereotyper Muster. Die Sprache des Körpers ist universal. Das Wunderbare: Junge und alte, dünne und dicke Körper, alle haben sie ihre Schönheit, ihre Berechtigung.

DER RAUM. Jeder Raum hat seine eigene Ausstrahlung, Atmosphäre. Seine ästhetische Qualität. Der Raum prägt jede theatralische Aktion, steht für mich am Anfang eines Projekts. Es ist faszinierend, in einem leeren Raum einen Raum zu erschaffen, der genau dieses Stück, das wir spielen wollen, optimal unterstützt. Ebenso faszinierend: Einen Raum mit einer gegebenen Architektur und Atmosphäre zu verwenden. Einen Raum, der schon für sich, schweigend, in Stille, erfüllte Zeit sein kann.  

GEGENSÄTZE, WIDERSPRÜCHE, HELL-DUNKEL. Das Gesetzte in Frage zu stellen durch eine Gegen-Setzung. Theater habe die Welt und ihre unterschiedlichen Farben zu spiegeln, meint Shakespeares Hamlet. Das häss- liche, Zerstörerische allein ist genau so Welt-Verfälschung wie, umgekehrt, das gefällige Schöne, eine Welt ohne Dreck (Milan Kundera: „Kitsch ist die Abwesenheit von Scheisse.“) Zeigen wir die Glückseligkeit und den Schrecken, ein Mensch zu sein. Himmel und Hölle, Zauber und Ernüchterung, Utopie und Entzauberung. Die Wahrheit, dass der Mensch (meistens) nicht das eine oder andere ist, sondern sowohl Engel wie Teufel. Eine oft fast unerträgliche, aber dramatisch ergiebige Mischung. Zum Lachen und zum Weinen. Ich plädiere für ein nicht kategorisierbares Theater, bei dem es dem Zuschauer schwer fallen soll, sich durch Schubladisierungen auf Distanz zu halten. „Wer dem Paradoxen gegenübersteht, setzt sich der Wirklichkeit aus.“ (Friedrich Dürrenmatt)

DIE VIELEN UND DER EINZELNE. Die Gruppe, die Masse, der Chor im Gegensatz zum Individuum. Wie im Film von der Welttheater-Grosstotale zum Kammerspiel der Nahaufnahme wechseln. (Die Geburt des Dramas fand statt, als sich der Schauspieler Thespis dem altgriechischen Chor gegenüberstellte.) Dabei gibt es keine ‚Statisten‘: jeder, der auf der Bühne steht, eine kurze oder lange Zeit, stumm oder sprechend, singend, ist Hauptdarsteller. Die Nuance ist in der Totale genau so möglich wie im Close-up.

DIE VERGANGENHEIT IN DER GEGENWART. Die Empfindungswelten früherer Zeiten bereichern unseren fixen, geschichtslosen Gegenwarts-Blick. Stellen wir ihm das Fremde, Andere der Vergangenheit gegenüber (und umgekehrt), geben wir ihm die Chance, eine Tiefenperspektive zu gewinnen.  

DER TRAUM UND DIE REALITÄT. Die alogische Logik des Traums ist wahrer als die rationale Logik der Realität, die B auf A und C auf B folgen lässt. Und näher der Verrücktheit, die in uns allen unter dem brüchigen Eis der rationalen Konvention zu finden ist. Lassen wir Realität und Traum aufeinanderprallen.

DAS SCHÖNE. Nicht als glatte Manifestation des LIKE, sondern als Moment der Berührung, die auch weh tun kann. Als blendendes Licht im Dunkeln, als Erschütterung am Rande des Abgrunds.

DIE (HÖRBARE UND NICHT HÖRBARE) MUSIK. Mein Ur-Theatererlebnis ist das Musiktheater. Der leidenschaftlich singende Körper fasziniert mich heute wie damals. Bei der Arbeit mit ihm fühle ich mich zu Hause. Musik spielt jedoch in allen meinen Inszenierungen eine grosse Rolle. Wie das Licht. Sie gibt dem theatralischen Akt die Intensivierung, die den szenischen Moment magisch macht, das Herz berührt (wenn es berührbar ist), die Zeit still stehen lässt. Und: Theatermachen ist Musikmachen. Mit den Körpern der Darsteller, mit Aktion und Nicht-Aktion, dem Raum, dem Licht, der Stille zwischen allem.

DIE WELT NEU ERFINDEN. Bei jeder neuen Inszenierung. Die Lust des Theatermachens ist auch die Lust des immer wieder möglichen Neuanfangs, Schöpfung der Welt aus dem Chaos, inspiriert durch einen neuen Stoff, eine neue Vorlage. Die Proben: eine Entdeckungsreise in ein zu erforschendes Land.

WAS, WER HAT MEINE THEATERARBEIT GEPRÄGT?

Sicher Italien. Die südliche Lust am lebendigen menschlichen Austausch, die Selbstverständlichkeit des körperlichen Kontakts, das Theaterspiel des Alltags. Das Licht, die Zikaden in der Hitze des Sommers, das Meer. Insbesondere aber: das italienische Theater und der Film. Von der Commedia dell’arte bis zum detailverliebten Realismus. Die Melodramen Luchino Viscontis, der Weltzirkus Federico Fellinis, die Western-Opern Sergio Leones, die gesellschaftskritischen Visionen Pier Paolo Pasolinis und Michelangelo Antonionis, die passione teatrale Giorgio Strehlers. Neuerdings Romeo Castelluccis radikal humaner Surrealismus.

Andererseits die nordische Spukwelt Ingmar Bergmans, ihre erbarmungslosen Nahaufnahmen des menschlichen Gesichts.

Unbedingt Pina Bausch, für die Wuppertal ihr Leben lang nicht zu klein war, die es wie kaum jemand anders im Tanztheater fertigbrachte, in der eigenen choreographischen Vision die Persönlichkeit ihrer Tänzer und Spieler auf der Bühne aufblühen zu lassen.

Das Rauschen der Welt jenseits jeder konventionellen Erzähldramaturgie, das ‚Roma‘ von Fellini zu einem meiner meistgeliebten Filme machte und in Pina Bauschs ‚Vollmond‘ zum beglückenden Rausch wird.

Schliesslich und ganz besonders: Peter Brook, der grosse weise Theatermacher und -forscher, dessen Gedanken zum Theater ein Kopf- und Herzlabsal sind, dessen Arbeit im Lärm der jeweils aktuellen Theatertrends und -hypes auf das Wesentliche im stillen Zentrum des Zyklons verweist: die menschliche Beziehung.

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